Super 8

Zur Kulturtechnik der Filmprojektion

Ein Essay

Der etwas andere Filmabend mit Super 8

Chips raus, Bierchen in der Hand – und sich mit der Universalfernbedienung auf die Couch fallen lassen – so läuft der heutige gemütliche Filmabend ab. Auf dem 55 Zoll Ultra-HD-TV scrollt man durch die Cover-Briefmarken der Mediatheken und wählt ad hoc das Abendprogramm aus. Das ist überaus komfortabel, und auch der Autor genießt diesen Luxus allzugerne – der auch schnell in Beliebigkeit umkippen kann. Alles andere als beliebig war (und ist) der Super-8-Filmabend. Das Ritual der Organisation alleine sorgt bereits für den Flair des Besonderen.

Zuerst will die klassische (Film-) Leinwand aufgestellt werden. Damit fordert sie nicht nur zuvor freien Raum für sich ein, durch ihr Aufziehen strukturiert sie ihn auch neu. Ihr strahlend weißes Tuch verdeckt bisher sichtbares und verweist als Projektionsfläche auch ungeduldig auf die Flimmerbilder, die alsbald ihre Oberfläche berühren werden. Mit dem Aufbau des Protektionstisches wird nun der Objekt gewordenen Gegenpart zum Stoffsegel im Raum verankert. Der Projektor, diese mechanische Wunderkiste, nimmt nun auf dem Tisch sein natürliches Wirkungsumfeld in Besitz – das Yin und Yang der Filmprojektion – und vollendet die Gesamtinstallation. Vielleicht möchte noch ein externer Lautsprecher angeschlossen, sicher aber die filmführenden Eingeweide des Projektors von halbverdauten Fusseln und Staub befreit werden.

An den Strom angeschlossen, summt nun der verbaute Verstärker leise vor sich hin – die Anordnung ist einsatzbereit. Mit schmatzendem Knarzen darf jetzt die erste Kunststoff-Filmbüchse geöffnet, die Spule auf den Vorderarm der Lichtmaschine gesteckt, die Auffangspule angebracht und der Projektor eingeschaltet werden. Das laute Rattern, wenn der Filmstreifen erstmals durch das Innenleben des Projektors läuft, ist sehr speziell.

Ebenso das quietschende Flattern, wenn ebendieser auf der Rückseite austritt und sich um den Kern der Selbstfangspule legt. Der richtige Zeitpunkt ist gekommen, die Lampe wird eingeschaltet, der Raum abgedunkelt. Schnell zählt der Countdown auf der Leinwand zum Filmtitel herunter, die Lautstärke wird justiert, sicher auch Bildstrich und Schärfe – der Film beginnt.

Ja, das ist Aufwand. Aber es ist ja auch nicht alltäglich, will es auch nicht sein. Gerade durch die Vorab-Organisation, die gezielte Auswahl des Programms, die Vorbereitung des Schauraumes, wird die Außergewöhnlichkeit des Abend zelebriert. Es versammelt sich der Kreis der Interessierten, wartend, bis der erste Film beginnt. Und wenn das Licht der Halogenlampe durch die Filmemulsion hindurch strahlend bewegte Bilder auf das Weiß der Leinwand wirft, ist die Aufmerksamkeit aller Beteiligten genau dorthin gerichtet. Es ist ein fokussierteres Schauen, unbewusst die Vergänglichkeit des Erlebnisses wahrnehmend. Ein medienhistorisches Relikt, eine inzwischen fast verlorenen gegangene Kulturtechnik. Und mit ihr wird wieder die soziale Komponente einer gemeinsamen erlebten Filmerfahrung reaktiviert, das Schauen in der Gruppe, mit den Gesprächen davor und danach – 2020 eine eher seltene Gelegenheit der Filmrezeption im privaten Umfeld.

Projecting the right image

Humoristischer How-To-Kurzfilm zur Filmprojektion (hier 16mm),
UK 1975, 13 Minuten

So erhält der Filmabend eine Gemeinschafts-induzierende Konnotation, in einem aus der Zeit gefallenen Arrangement mit vielleicht der Vergessenheit anheim gefallenen Filmtiteln in ungewohnter Ästhetik und Ausformung. Dieses gemeinsame Erleben, umrahmt von dem Ritus der Projektion, ist einzigartig. Das Verrinnen der Filmzeit postuliert sich nicht im bildimmanenten Ladenbalken, sondern über die Menge des Filmmaterials, welches sich von der Vorder- zur Rückseite des Projektors verlagert. Alles ist provisorisch, retro, ungewohnt und fragil. Auch die erzwungenen Pausen, wenn die „Ende“-Tafel eines Titels über die Leinwand wabert, das Ende des Bewegtbildstreifens, der durch den Projektor gezogen den Klang im Rhythmus des Projektors verändert, während auf der Leinwand das nun reinweiße Licht den Zuschauer wieder zurückwirft in die Realität. Und bevor der nächste Film den eben gleichen Vorgang durchlaufen darf, muss jetzt das Filmmaterial wieder zurück gespult werden – und schafft so den Zeitrahmen zur sozialen Interaktion, während der Projektionist den Rückspulungprozess überwacht.

Es sind kleine Kino-Erlebnisse, die in allen Abläufen ihre direkte Verknüpfung zu den ersten Filmvorführungen (Skladanowsky, Lumière) Ende des 19. Jahrhunderts nachweisen, stehen im besten Sinne für eine Form der Filmpräsentation, die bereits lang durch digitale Techniken ersetzt wurden.

Diese Zusammenkunft, initiiert durch die alt hergebrachte Rauminstallation der Objekt-Anordnung, die historische Technik mit ihrer Fragilität, das antiquarische Programm, der Moment des Unperfekten, der in der Ästhetik des Materials seinen Ausdruck findet – diese Kombination steht für sich alleine und generiert eine – gerade für die jüngere Generation – ungewohnte Erfahrung.

" Nicht nur in den Motiven, sondern gerade in der Projektion ist die Zerbrechlichkeit evident. Jede Vorführung mit dem alten Gerät frisst am Band, zerkratzt es ein wenig mehr, brennt sich buchstäblich ein. Der Film zieht Staub und Fussel an, ein Superorganismus scheint da auf der Leinwnd zu wabern, Millionen Körner pulsieren darauf, Kreidemarkierungen und Fingerabdrücke seine Falten. (…) So wird der Staub, der sich dort auf die Rollen legt, wo sie die Zeit überdaueren, Teil ihrer körperlichen Präsenz, sie atmen ihn ein auf den Dachböden, in den Kellern, an jenen modernen Unorten, die sich wie ein Unterbewusstsein unserer Gegenwart vor dem heutigen Alltag verstecken."

Fridolin Schley, "Die achte Welt", Seite 34f, Edition Braus Berlin Gmbh, Berlin 2014

Aus dem Archiv Teubig

Zu Zeiten, als das TV-Röhrenbild nicht über 55cm Bilddiagonale hinauskam, war die Projektion von analogem Film die einzige Option, außerhalb des Kinosaals einen großformatigen Bildeindruck zu erzeugen. Genau deswegen – und um ihre Hingebung zum Kino selbst – zu bezeugen, strebten viele Super 8 Filmsammler eine eigenes, selbst gebautes Kino an. Anstelle des in den 80er Jahren so beliebten Partykellers wurden alte Kinosessel im Estrich verschraubt, Soundanlagen eingebaut und eine Leinwand fest installiert. Das Moment der Filmprojektion wurde hier mit Inbrunst ausgelebt und sprach jeden an, der gerne Filme sah, unabhängig vom Alter. Michael Teubig hat zur Kulturtechnik der perfekten Filmprojektion eine ganze Reihe von Artikeln geschrieben, die sich auch um das ganze „Drumherum“ drehen, mit dem Ziel, eine nahezu perfekte Simulation des großen Kinos zu erschaffen:

Das Super-8-Kino zuhause – Raum ist in der kleinsten Hütte

Voller Verve gibt Micheal Teubig 1981 Tipps für die perfekte Kino-Simulation in den heimischen vier Wänden.

So wird Ihr Heimkino-Abend technisch „rund“

Ein Jahr später: 1982 beschreibt M. Teubig hier die technischen Voraussetzung für den perfekten Filmgenuß im Keller-Kino.

Einladung zum Filmabend … und keiner kommt… was nun?

Im Magazin Movie trotzt Michael Teubig 1996 dem dahinsiechendem Interesse des Super-8-Filmabends als Gesellschafts-Event mit Tipps zur Reaktivierung.