Super 8

Zur Poesie des Lichtspiels

Essay

Die Ästhetik des Super-8-Films

„Bilder, in denen man die Welt wiedererkennt, eine Umgebung, die man als Bleibe und eine Situation, die man als Ritus wahrnimmt: Aus diesen drei Elementen besteht die «klassische» Erfahrung des Films.“

Super 8 scheint unbeugsam zu sein. Dieses 8 Millimeter durchmessende Kunststoffband, das selbst über 50 Jahre nach seiner erstmaligen Präsentation nach wie vor fasziniert. Was aber löst diese Faszination aus? Vielleicht ist es nur die Reminiszenz vergangener Tage, die Erinnerung an eine weit zurückliegende Vergangenheit, als die private Filmkopie noch exklusiv war, vielleicht elitär, ganz sicher kostspielig, kürte sie den Käufer zum selbstbestimmten Intendanten in den eigenen vier Wänden. Diese Re-Lokalisierung der Filmkopien vom Kino in die Privatwohnung der 70er (und 80er) Jahre erforderte zwangsläufig einen Schrumpfungsprozess, vom großen Saal ins kleine Wohnzimmer, vom Vorführraum auf den gefliesten Couchtisch, von der 35mm Kinokopie zur Super 8 Heimfilm-Kopie.

Trotz dieser radikalen Reduktion behält der Super 8 Film die essenziellen Charakteristika des analogen Filmstreifens, er steht in der direkten Tradition der Projektionen der Gebrüder Skadanowski und Lumières. Hier differenziert er sich auch in seiner Anmutung deutlich von der zeitgenössischen digitalen Filmkopie. Entgegen den entstofflichten Bits und Bytes, aus denen sich das Pixelraster des heutige Streamingfilms auf dem häuslichen Bildschirm oder im digitalen Kinoprojektor zusammensetzt, entsteht die Poesie der Super 8 Filmbilder durch die gefärbten Filmkörner, die wild über die Projektionsfläche flimmern, zum Leben erweckt von einer rhythmisch arbeitenden Mechanik, die diese transparenten Einzelbilder, von einer kleinen Halogenlampe zu farbigen Lichtstrahlen transformiert, transportieren, und die sich auf der Leinwand zu Bewegungen zusammensetzen. Diese Lichtprojektion macht die Vergänglichkeit des Moments fühlbar, sie zelebriert die Flüchtigkeit des Eindrucks.

Als Kontrapunkt zum ultrascharfen und knallbunten Digitalbild definiert sich der Super 8 Film in einem Ausdruck der technischen Einschränkung. Das winzige Filmbild erlaubt Projektionsgrößen von maximal 3 Meter Breite – unter optimalen (Nicht-) Lichtbedingungen. Die formatimmanente Unschärfe, der Duktus des Laufstreifens, der entspannt das Bild unterteilt oder auch wild durch das Projektionsfenster tanzt, die immer wieder auftauchenden Staubflusen, die sich mit der Zeit am Projektionsbildrand absetzen, eigentlich ungesehen, nun präsent das Bild umrahmend, die langsam dahinschwindenden Farben der bis zu 50 Jahre alten Kopien, all dies ist die Sinnlichkeit eines Mediums, in dem Zeit sich in so vielfältiger Form auszudrücken vermag. Die Vergänglichkeit tanzenden Schatten im Licht, untermalt vom ratternden Rhythmus der Projektionsmaschine, einer Lokomotive gleich, die Distanz vom Filmbeginn bis zum Filmende durchlaufend. Hier braucht es keine Pausetaste, um anhand eines standardisierten Statusbalkens den Zeitverlauf zu erkennen. Hunderte Meter rollen sich von der gebenden Filmspule, getragen von unzähligen winzigen Zahnräder, auf die empfangende Spule, die Verteilung des Filmmaterials postuliert die Position innerhalb der Projektion, einfachst abzulesen. Meter um Meter reihen sich so die einzelnen Standbilder aufaneinander, auf einem Material, das so nicht nur einen Blick zurück zu den Anfängen der Filmentwicklung gewährt, sondern auch markante und prägnante Filme von gestern und vorgestern erneut zum Leben erweckt.

Die Ästhetik des Super 8 Films erschließt sich allerdings nur zum einen aus dem chemischen Film als Trägermedium. Es sind auch die uralten Rituale, die seine Präsentation begleiten, die seinen Charme ausmachen: das Aufziehen der Leinwand und Aufstellen des Projektors, das Aufstecken der Filmspule, gefolgt vom Einschalten der Mechanik, das laute Rattern beim Vorgang des Einfädelns, das schnappende Geräusch, wenn der Filmstreifen von der hinteren Spule aufgefangen wird, quasi als Freigabe für das Umschalten in den Projektionsmodus, bei dem das Licht auf die Leinwand trifft und der Countdown zum Filmbeginn herunterzählt. Vielleicht muss die Schärfe nachgestellt und der Bildstreifen rejustiert werden, ebenso wie der Ton, der zumeist Mono von einem gerade mal ein Millimeter breiten Magnetband abgelesen wird. Dann, nach der Projektion, der Prozess der Rückspulung, gleichsam technisch notwendig als auch ein Moment des Innehaltens, um das Gesehene zu verarbeiten und sich auf das Kommende vorzubereiten.

Diese Kulturtechnik der Filmprojektion fordert den Zuschauer auf, sich auf eine für ihn vielleicht neue, wenn auch alte Ästhetik einzulassen. Auf Filme, die zumeist trivial sind, immer kurzweilig, definitiv besonders. Filmkopien auf Super 8 sind nicht Avantgarde, wollen nicht rebellisch sein oder sich als Gegenkultur definieren. Sie sind ein Kleinod der Medienhistorie, der Urvater von Netflix und Co. Sie existieren noch immer, lassen auch nach 50 Jahren die großen und die unbekannten Stars von der Leinwand auf uns herabsehen. Sie werfen uns zurück in eine andere Zeit, ein Relikt aus der Vergangenheit mit Filmen, die einst die Massen in den Kinosaal lockten, heute belustigen wo sie damals schockierten und heute schockieren wo sie damals belustigten. Überraschen mit Ungesehenem, Vergessenem, und nur allzu Bekanntem in ungewöhnlichem Gewand.

Und dies ohne allzu großen Aufwand. Denn Super 8 lässt sich einfach, leicht und schnell projizieren, mobil, flexibel und ohne großen technischen Aufwand.

Autor: Joachim Schmidt