Archiv Teubig
Aus „Die Leinwand“ – Ausgabe 6/1986
180 Grad-Wende 1986
Man sollte meinen, wer einmal dem Heimkino samt Super-8 und 16mm-Filmen „Ade“ gesagt hat und zum Magnetband gewechselt ist sei für den Zellulloid-Film für immer verloren. Doch dem ist nicht ganz so… DIE LEINWAND hat die Probe auf’s Exempel gemacht und ein paar neu hinzugekommene Abonnenten nach ihre Beweggründen gefragt warum sie jetzt dieses Magazin lesen.
Eine per Strichliste geführte Auswertung ergab, daß von 10 neuen Lesern 7 bereits Erfahrungen mit Video gemacht hatten bzw. bisher nur Videofilme gesammelt hatten. Von diesen 7 Video-Leuten wollten wiederum nur 3 auch weiterhin neben dem neu begonnenen Schmalfilm-Hobby parallel Videofilme sammeln. Immerhin blieben statistisch gesehen Leute übrig die mit Video ganz aufhören und sich erstmals (oder wieder) nur dem Schmalfilm-Heimkino zuwenden wollten. Noch einmal: es handelt sich bei der Zahl 4 nicht etwa nur um tatsächlich 4 neue Leser, sondern die 4 gibt den prozentualen Anteil der Gruppe neuer Leser an, die ganz mit Video aufhören.
Die durchaus mit leichter Schadenfreude gestellte Frage nach dem „Warum?“ erfuhr ganz erstaunliche Antworten. Eine Antwort mit der ich am allerwenigsten gerechnet hatte war diese:
„Als Video-Fan ist man immer auf der Suche nach (natürlich) brandaktuellen Kinofilmen. In der ersten Zeit geht man auch noch brav ins Kino um die spektakulären Neuheiten auch einmal im Filmtheater erlebt zu haben. Später verzichtet man jedoch auf das Kino fast völlig und selektiert etwa nach Empfehlungen von „Cinema“ oder orientiert sich an Filmausschnitten im Fernsehen. Die Liebe zum Kino schläft förmlich ein; das Bewußtsein, per Knopfdruck das neue Kino-Ding sowieso in Kürze „reinziehen“ zu können (welch‘ schrecklicher Ausdruck – Anm.d.Redaktion) macht das Kino uninteressant. Die Folge: Große Filme werden nur noch klein (auf dem Bildschirm) und allein erlebt; das Kinoerlebnis in der Gruppe entfällt.“ Soweit ein neuer LEINWAND-Leser. Irgendwann hat er bemerkt, welche isolierende Wirkung das Video-Hobby hat. Ein Faktor, vor dem gerade Psychologen nicht erst seit ein paar Jahren warnen.
Eine weitere Stellungnahme:
„Ich meinte, das Sammeln von Videofilmen würde mir so etwas wie ein wertvolles Bildarchiv schaffen. Ich kaufte stets die neuesten Kinofilme sehr teuer in meiner Stammvideothek ein. Dann merkte ich, wie stark der Preisverfall in der Videobranche um sich griff. Filme die gestern noch etwa 250.-DM für den Endverbraucher (noch so ein schreckliches Wort – Anm.d.Redaktion) kosteten, fanden sich plötzlich als Ramschware in Elektromärkten oder gar ALDI-Läden wieder. Beispiel: Die unendliche Geschichte, Ben-Hur oder auch Sag niemals nie. Filme der ersten Video-Glanzstunden wie etwa „Der letzte Countdown“ oder „Rambo“, erwiesen sich als wertlos. Zum Preise des Leerbandes waren sie gerade noch einzutauschen oder weiterzuverkaufen – sofern man das überhaupt wollte. Die Masse der Videos und die fallenden Preise gaben mir den Anstoß mich von diesem Medium wieder zu trennen denn ich sehe in der Ware ‚Film‘ durchaus auch eine Kapitalanlage. So kam ich zum Film zurück. Ich sammle jetzt 35 mm-Filme; die Technik steht schon. Für meine zwei Videorecorder und allerlei Zubehör bekam ich noch soviel Geld heraus daß eine preiswert angebotene 35mm-Komplettanlage für mich heraussprang“.
Zitat Ende.
Natürlich kamen auch die Antworten auf die ich als LEINWAND-Herausgeber gewartet hatte.
„Die Video-Qualität ist auch bei der Verwendung von Highgrade-Bändern und besten Geräten nicht befriedigend. Nachtaufnahmen wirken fast überhaupt nicht und wegen der geringen Bildabmessungen (70cm Bildiagonale sind maximal möglich – Anm.d.Redaktion) ist das Betrachten des Videobildes im dunklen Raum wenig illusionsfördernd. Stereoton ist zwar technisch kein Problem, er wird aber von den wenigsten Videofilm-Anbietern auch tatsächlich aufgespielt. Um eine befriedigende Wiedergabe zu erzielen müßte nämlich besseres und damit sehr viel teureres Bandmaterial für die Massenkopierung von Spielfilmen verwendet werden. Das tun die Hersteller aber nicht. Lieber kopieren sie ihre Topfilme Mono und nehmen ganz klar auch Bildqualitätsverluste in Kauf, nur um mit Billig-Bändern aus Taiwan oder No-Name-Fabrikaten mehr Gewinn aus dem Verkaufspreis herausziehen zu können. Außerdem verschleißen die minderwertigen Bänder sehr viel schneller den Videokopf des Recorders. Abrieb, Schleifspuren und damit Bildstörungen (z.B. Streifen und Aussetzer) sind die Folge.“
Ein weiterer neuer LEINWAND-Leser:
„Ich habe mit Video aufgehört. Der Grund ist ganz einfach: Immer mehr Filme kommen in Dolby-Stereo und auch in 70mm-in die Kinos. Der gestiegene Komfort der entsprechend ausgerüsteten Kinos macht das „Reingehen“ wieder attraktiv. Das große, scharfe Bild, die unendliche Tiefenschärfe und der nun wieder aufgewertete Ton machen für mich den Zellulloid-Film wieder interessant. Erst bin ich lieber zweimal in einen Film gegangen (sehr viel mehr „spielen“ die meisten Videosammler ihre Bänder nämlich auch nicht ab) und habe ihn dann als „gewesen“ angesehen. Irgendwann hatte ich aber doch das Bedürfnis den einen oder anderen Film zu besitzen. Aber eben nicht als Video, sondern als Kopie. Ich schloß mich daher einem Schmalfilm-Club an der regelmäßig von den bekannten Verleihern 16mm-Filme ausleiht und vorführt. Über diese „Schiene“ kam ich auch an Kopien. DIE LEINWAND hat mir mit ihrem Sammler-Treff zusätzliche Kontakte geschaffen (Danke, Anm.d.Redaktion) und ich bin so Stück für Stück in die Sammler-Szene gekommen. Ich arbeite mit Super-8 und 16mm. Video vermisse ich überhaupt nicht mehr. Und wenn – was in der Natur der Sache liegt – viele neue Kinofilme auf Schmalfilm noch nicht zu haben sind, sehe ich sie mir – wie damals – lieber zweimal an. Irgendwann kommt auch mal eine Kopie daher …“
Nun ein Leser mit Alternativen:
„Ich mache Video und Schmalfilm. Was ich als Trailer, Ausschnitt- oder Komplettfassung nicht in Super-8 bekomme, „speichere“ ich vorerst auf Video ab. Das hat den Vorteil daß ich nach dem mehrmaligen Ansehen eines erst für „unerläßlich“ gehaltenen Films feststelle, das er durchaus auch seine Längen hat und nicht unbedingt als Filmkopie in mein Archiv wandern muß. Eine Ausschnittfassung oder auch ein Trailer tut es in vielen Fällen auch. Ich habe eine Videoanlage in mein Heimkino integriert. Archiviert wird jeweils unter dem Filmtitel. Bekomme ich einen Wunschfilm auf Super-8 oder 16mm, wird die Videofassung verkauft. Verzichten brauche ich also genau genommen auf garnichts. Meine Lieblingsfilme sind in jedem Falle in irgendeiner Fassung bzw. Format „vorhanden“. Ich will ja schließlich auch nicht bis an mein Lebensende auf Filme wie „Jäger des verlorenen Schatzes“ o.ä. warten. Da „tut’s“ Video schon auch.“
Ein Berliner Leser unterwarf sich radikalen Prinzipien:
„Ich habe jahrzehntelang 16 & 35mm-Filme gesammelt. Um das alles unterzubringen habe ich sogar einen Lagerkeller angemietet. Zum Leidwesen meiner Frau fand mein „Hobby“ in der Wohnung statt. D.h. mit einer 35mm-Koffermaschine wurde von der Küche durch die Durchreiche ins Wohnzimmer projiziert. Das lief etwa 25 Jahre lang so. Dann kam – Video. Meine Frau atmete auf – Projektoren und angeblich immer dreckige Filmkopie-Kartons verschwanden aus unserem Haushalt. Die Filme (etwa 180 Titel plus mehrere hundert Beiprogramme und Trailer) wurden in Berlin an Sammler verkauft; die Technik an einen Zwischenhändler komplett verkauft. Fast alle (!) Filme die ich vorher als Kopien hatte bekam ich auch – nun handlich,klein und eckig – als Videokassetten. Das ging nur 5 Jahre lang gut. Enttäuscht und unbefriedigt über die Qualität, eher sauer über die Behandlung in Videotheken usw., zog ich einen Schlußstrich unter die Sache! Die Videokassetten wurden en bloc an eine Videothek verkauft, der Recorder an Verwandte verschenkt worden – und der Kampf mit meiner Frau wegen meines Hobbys wieder aufgenommen. Selbst der Lagerkeller nur wenige Wohnblocks von mir entfernt, war noch zum gleichen Preis zu vermieten wie damals. Also nichts wie ran an die Sache. Eine ehemalige Ernemann-Standmaschine wurde auf Kaltlichlampe umgebaut und mit 1800m-Trommeln bestückt. Über die Stereoanlage im Wohnzimmer wird der Lichtton wiedergegeben und seit dem mache ich wieder „Kino“ im klassischen Sinne. Einige Kopien meines früheren Bestandes konnte ich sogar wieder zurückkaufen bzw. kann sie mir jederzeit ausleihen. Von Video will ich nichts mehr wissen, das ist nichts für einen Filmfreund von heute immerhin 68 Jahren. Meine Kinder und Enkel sind von ihrem „Kino-Opa“ sehr begeistert. Sie wollen das ganze Hobby später weiterführen. Im fast 45qm-großen Keller des Hauses meines Sohnes in Westdeutschland werden dereinst meine gesammelten Filme weiterlaufen. Ob in 10 Jahren noch jemand von Video sprechen wird? Ich glaube nicht!“
Soweit „neue“ Schmalfilm-Freunde (und LEINWAND-Leser) zum Thema Video-Ausstieg. Fazit: „Sag niemals nie“, jedenfalls nicht voreilig.
Michael Teubig
„Die Leinwand“ Ausgabe 6/1986
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